Die Installation Elizabeth setzt sich aus mehreren thematisch ineinander greifenden Räumen zusammen. Sie geben der Arbeit eine Kapitelstruktur, die dem dramaturgischen Ablauf eines Films vergleichbar ist. Die einzelnen Räume sind eine Interaktion aus Bewegtbildern, filmischen Sequenzen, Fotografien und Artefakten.
Den inhaltlichen Ausgangspunkt bildet im ersten Raum der Installation die Darstellung der Geschichte einer Schiffslegende – der „Queen Elizabeth 2“ (QE2): Als maritimes Statussymbol Großbritanniens von der englischen Königin 1967 getauft und auf der Transatlantikroute einst gefeiertes Prestigeobjekt der Reederei Cunard, beherbergte das Schiff die politische und kulturelle Prominenz einer Epoche, von den Beatles, Salvador Dali, Henry Kissinger, Roman Polanski, Diana Spencer bis hin zur Band „The Cure“ oder Marilyn Manson. Nach 39 Dienstjahren aus dem Verkehr gezogen und an die Vereinigten Arabischen Emirate verkauft, verharrt das Schiff seither ungenutzt an einer verwaisten Pier in Dubai und verrottet.
Der schillernden Historie der QE2 und ihrem trostlosen Ende stellt die Installation eine persönliche Geschichte gegenüber, eine Biografie, die auf eigentümliche Weise existenziell mit dem Werdegang des Schiffs verknüpft ist. Ein prägendes Erlebnis, eine Begegnung mit dem Schiff, kurz nach seiner Inbetriebnahme, steht am Beginn:
Es war Zufall, ein Zusammentreffen im Juni 1972 während einer Kanalüberfahrt nach England: Vom Deck eines Fährschiffs beobachtet ein Kind das riesige Transatlantikschiff mit Kurs Amerika – schon damals ein Anachronismus, denn die Ära der Passagierschifffahrt auf dem Nordatlantik war längst vorbei. Schiffsberühmtheiten waren dem Massenprodukt Flugzeug gewichen, prunkvolle Reisen unrentabel geworden und die „Queen Elizabeth 2“ das einzige verbliebene Passagierschiff auf der Traditionsroute.
Bald verschwand das Schiff am Horizont, doch sein Bild blieb in den Gedanken des Kindes, bald des Jugendlichen und schließlich Erwachsenen zurück und wurde aufgrund der agoniehaften Ausnahmestellung des Dampfers inmitten allenthalben voranschreitender Schnelllebigkeit und Nivellierung für ihn zum Synonym für Beständigkeit und Individualität. Jedes Foto vom Schiff sammelt der Leidenschaftliche, jeden Zeitungsbericht, Memorabilia und Bücher; mit allem, was er von dem Dampfer finden kann, nimmt er am Werdegang des Schiffs in allen Fassetten und Details Anteil – vom Tag der Begegnung bis in die Gegenwart. Mit den Jahren wird ihm so das Schiff zum Sehnsuchts- und Identifikationsobjekt und vor dem Hintergrund einer sich immer grundlegender verändernden Welt der globalen Vernetzung, Verlagerung ins Virtuelle und einem allgegenwärtigen ’Sei wendig, sei aktuell, sei überall und international’, zum seelischen Ankerpunkt und emotionalen Zuhause. Doch dem echten Schiff noch einmal zu begegnen, vermeidet er.
Erst mit dem Leben seiner kleinen Tochter kommt der Wandel: Ihr Drängeln ist es, ihr kindliches Wissen-wollen von allem und jedem – auch vom Schiff, dessen Agonie ihren Vater so vereinnahmt, das ihn schließlich zu einer Reise zum Schiff nach Dubai bewegt. Sein Kind nimmt er mit…
Ausgehend von der geschilderten Geschichte thematisiert die Installation Elizabeth den Verlust von Zugehörigkeit und empfundener Heimat in der Gegenwart. Bezugnehmend auf Richard Sennets These vom „flexiblen Menschen“ und dem sich wandelnden Verständnis von Heimat in einer globalisierten Gesellschaft, zeigt die Installation dabei die individuelle Geschichte als symptomatisch für ein grundlegenderes Phänomen, das sich nicht zuletzt auch in Episoden der QE2-Historie bildhaft widerspiegelt:
Als das Schiff kurz vor seiner Außerdienststellung im November 2008 England zum letzten Mal verließ, säumte fast eine Million Menschen mit Nationalfähnchen in der Hand das Ufer. Die mitternächtliche Szene mit dem in Flutlicht getauchten Schiff glich einer Kultveranstaltung aus längst vergangenen Epochen, einem Tanz ums goldene Kalb, hinter dem die reale – und letztlich profane – Bedeutung des Schiffs, verschwand. Eine Szene vergleichbar mit dem Massenansturm bei Papstbesuchen, übersteigerter Anteilnahme an Fußballereignissen oder dem Sturm hysterischer I‑Phone-Jünger auf Applefilialen – eine Welt auf der Suche nach Ausflucht vor entbehrtem Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl und vermisster Stabilität und Sicherheit.
Zur Potenzierung der Symptomatik trägt dabei auch die virtuelle Vernetzung bei: Im Gegensatz zum noch realen Schlüsselerlebnis des Protagonisten in seiner Kindheit macht eine grenzenlos erscheinende Beliebigkeit im digitalen Massenmedium ein individuelles Erleben und Verinnerlichen eines Eindrucks kaum noch möglich. Auch konkrete Bezugspunkte und Nähe versprechende Social Media erweisen sich auf der Suche nach Verbindlichkeit und Unmittelbarkeit als Scheintrost: Facebook ersetzt keine erlebten Freundschaften, Empfindungen sind nicht digitalisierbar und Herkunft und Heimat nicht global. Die hoch entwickelte Technologie dahinter, schildert das Projekt Elizabeth als Wirtschafts- und Ablenkungsfaktor, die einer Kompensation von in der Realität immer seltener erlebter Nähe dient, dem Verlernen wirklich zu leben und einen Bezug zur realen Umwelt herzustellen.
Als einen Schmelztiegel dieser Entwicklung vermittelt sich im letzten Raum der Installation jener Ort, an dem die QE2 heute verblieben ist: Dubai. Mit seiner kleinen Tochter dort eingetroffen, erscheint dem Protagonisten die aus dem Boden gestampfte Gegenwartsmetropole aus stilisierten Trabantenbauten und internationalistischer Monumentalarchitektur wie ein pulsierender Hot Spot aus Anonymität und Unaufgehobenheit – ein Sinnbild für eine entwurzelte Gesellschaft. Vor den im Wüstenlicht schimmernden High-End-Fassaden Dubais, hinter denen sich jedes individuelle Heimatgefühl zu verlieren scheint, wirkt die einst traditionsorientierte Schiffsherberge auf dem Nordatlantik, die QE2, wie ein verlorenes Paradies. An einer verwaisten Pier in einem Werfthafen vor der Stadtkulisse Dubais vertäut, scheint das vom Protagonisten individuell empfundene, gedankliche Zuhause zum nostalgischen Moment verkommen, zum Wegwerfprodukt in einer sich pausenlos wandelnden Welt und stellt damit gleichsam ein Bild für den generellen Paradigmenwechsel dar: Die Empfindung für Heimat hat nichts mehr gemein mit dem Ort der eigenen Herkunft; Heimat existiert nur noch in einem selbst.
Doch auf der Pier vor dem festgesetzten Schiffsriesen ist es schließlich die Unvoreingenommenheit und das lebenslustige Spiel seiner Tochter, das dem Protagonisten auch die Erkenntnis der eigenen Fehlprojektion liefert. Das Schiff – einst als identitätsstiftendes Paradeobjekt hergestellt und seit ehedem dem Protagonisten genauso nichts anderes als eine Kompensation für seelisch entbehrte Obhut – gerät zum Spiegelbild für sein eigenes nicht gelebtes Leben. Sein jahrzehntewährendes Verharren in Objektversessenheit hat ihm jeden Blick auf die eigentlichen Bezugspunkte und die erstrebenswerte Zugehörigkeit verschleiert:
Während der Protagonist seine sorglos spielende Tochter beobachtet, kommt hinter ihm riesenhaft in stahlblauen Lettern ein Teil vom Namenszug des Schiffs ins Bild: „Elizabeth“ – es ist der Name seiner Tochter.