Frank Barth
In der Arbeit Freedom is not for free entwirft Elmar Hess die apokalyptische Vision eines Liebeskonflikts im Gewand einer Gerichts-Fantasie. Der Zwist endet vor einem Kriegsverbrechertribunal, das die begehrte Frau für ihre scheinbare Herzlosigkeit verurteilt: freie Herzensentscheidungen mutieren zur Strafsache. Der Fall wird zu einer Troubadour-Groteske über Rollenklischees und Verhalten wider besseren Wissens.
Die Arbeit, die sich aus Videos, Objekten und fiktionalen Dokumentarfotos zusammensetzt, zeichnet hinter dem individuellen Drama ein Gesellschaftsbild, in dem die Erfüllung menschlicher Sehnsüchte durch Lobbyismus und Manipulation durch die Medien verhindert wird.
Sabine Maria Schmidt
Mit Freedom is not for free entwickelte Elmar Hess 2006 ein umfassendes Konzept einer Installation, die Film räumlich inszeniert beziehungsweise ihn in ein opernhaft anmutendes Format voller Nebenschauplätze überträgt.
Im Zentrum der Arbeit steht die apokalyptische Vision eines Liebeskonflikts, die mit dramatischen, reinszenierten und montierten Kriegsbildern erzählt wird und historische Ereignisse als Folien und Projektionsflächen für den gedanklichen und analytischen Umgang mit einem privaten Seelendrama nutzt. Die gescheiterte Beziehung endet vor einem Kriegsverbrechertribunal, das die Antagonistin für ihre vermeintliche Herzlosigkeit verurteilt. Hess bedient sich dabei der Strategie, eine subjektive Realität und Wahrnehmung mit filmischen Bildern zu durchdringen und verknüpft in seiner Arbeit den Topos des Rosenkriegs mit Archivmaterial aus dem Vietnamkrieg ebenso wie zahlreiche Anspielungen an den Filmklassiker Apocalypse Now von Francis Ford Coppola.
Die ursprünglich auf fünf Räume angelegte Installation aus Videos, Objekten und fiktiven Dokumentarfotos verdichtete Hess zu einem einräumigen mehrteiligen Fragment, das aus einem Video-Triptychon, einem S/W‑Film, verschiedenen Fotografien und einem Filmmonolog besteht.
In Freedom is not for free prallen emotional konträre Weltsichten aufeinander: Der Protagonist, Melancholiker und spätere Kriegsveteran trifft auf die seelische Instabilität einer Frau, die ihr Selbstwertgefühl vor allem in der Bestätigung anderer sucht. Mara, die Verehrte, Begehrte und zu Erobernde, ist Sängerin, Model, Werbeikone und Fernsehstar – jemand, die das Bild, das sie ist, nicht nur verkörpert, sondern auch lebt. Nach außen ein ‚autokratisches Regime’, das Personenkult und Massenkundgebungen bewältigt, erweist sie sich in Freedom is not for free als Objekt eines Medienmanagements, das aus einem durch eine gänzlich erotisierte Konsumindustrie produzierten Mangel an innerer, zwischenmenschlicher Zusammenkunft, Kapital schlägt. Hess kritisiert dabei von Beginn an die von gesellschaftlichen Zwängen und medialen Manipulationen gelenkten psychologischen Muster, die das Private ‚zur Hölle’ werden lassen. Der Krieg, der wütet, umkämpft daher weniger die Topoi des Geschlechterkampfes als die aus diesem kondensierten und mit ihm verbundenen Klischeebilder.
Der Krieg dieser Bilder beginnt in der Installation mit dem zentralen Triptychon, auf dem die Antagonistin als lasziver Vamp im transparent-goldenen Kleid während eines Werbeshootings vor einem glutroten Hintergrund und zwischen wehenden Palmen posiert. Bisweilen leuchten Blitze auf, ebenso bizarr sind durch den Raum der Bilder schwebende Ventilatoren, die akustisch mit dem durchdringenden Geräusch von Hubschrauberrotoren unterlegt sind. Hinzu ertönt im Loop The End, jener Song der Doors, der für die Anfangsszene und den Schluss (die Tötung des von Marlon Brando gespielten Colonel Kurtz) in Apocalypse Now Verwendung fand. Auf der linken Seite des Triptychons agiert ‚schwerbewaffnet’ mit Kameraobjektiven der Fotograf, dessen Equipment in der inszenierten Zusammenstellung regelrechten Flakbeschuss andeutet. Auf der rechten Seite ist ein Glasregal mit verschiedenen Parfum-Flakons zu sehen, das Waffenarsenal der Antagonistin, dessen Deutung nicht nur in einem weiteren Teil der Installation, dem S/W‑Film Fleet, der dem Video-Triptychon gegenübergestellt ist, ironisch in Szene gesetzt wird, sondern auch im Kontext der Vietnam-Anspielungen unmittelbar an Napalm denken lässt.
Der in slow-motion gehaltene Film Fleet ist eine verkürzte heroische Argonautensage zeitgenössischer Couleur, in der der Protagonist – Hess mimt hier einen jungen Flottengeneral – nach Clausewitzscher Taktik auszieht, um durch Invasion zu erobern. Fleet ist ein größtenteils reinszenierter fiktionaler Film, in den nur wenige Archivszenen montiert wurden. Die Faszination an den historischen Bildern ist dabei zugleich gepaart mit ihrer ironischen Brechung, wenn aufgeblasene Luftballon-Herzen als Frachtgut auf das Schiff geliefert werden, Lippenstiftraketen auf Radargeräten erscheinen oder Sportübungen sich in ein Soldatenballett verwandeln. Die Männerrituale, Paraden und Siegesbeschwörungen täuschen noch über den drohenden Untergang hinweg, den die Truppe unausweichlich erwartet. Die, die aufbrechen, ein unwilliges Herz zu erobern, beginnen einen Feldzug, den sie nie gewinnen werden.
Während auf die Schlacht, das nachfolgende Kriegstribunal und die Alptraumvision einer erdachten Exekution der Antagonistin in der Fragment-Fassung mit Fotografien und Modellen angedeutet wird, erhält die Installation ihre zentrale Gewichtung durch den Kriegsveteranen-Monolog eines demoralisierten Protagonisten, der abseits der Videoprojektionen auf einem kleinen Monitor zu sehen ist. Im Rollstuhl sitzend verfolgt er im Fernsehen eine Talentshow, in der die Angebetete als Interpretin eines banalen Techno-Songs vor einem kreischenden Publikum zur Gewinnerin gekürt wird. Hess reinszeniert sowohl in Kameraführung, Lichtdramaturgie, Gestik, Sprachduktus als auch mit direkten Zitaten den Monolog des Colonel Kurtz aus Apocalypse Now. Während der vermeintlich Geschundene dabei als eigener Konfliktverursacher durchschaubar wird, erscheint die Frau zusehends als Opfer und die Diskrepanz zwischen den Anklagen des Protagonisten an die Frau und ihre juristische Aburteilung durch ein Gericht eklatant. In einer Art selbstanalytischem Delirium offenbaren sich die Visionen des Mannes als sich immer weiter verstärkende Fehlprojektionen, die gänzlich ihren Bezug zur Wirklichkeit verloren haben. Zugleich stehen die Analysen in Kontrast zu dem ebenso aberwitzigen Fernsehwahnsinn, den abstrusen Kommentaren des Talentshow-Moderators und den gezeigten Werbeunterbrechungen.
In Freedom is not for free arbeitet Elmar Hess vordergründig mit drastischen Vergleichen, verbrauchten und bis zur Übersättigung aufgedrängten Bildern, die er als Resultat einer allumfassenden Manipulationsstrategie von Medien und Wirtschaftsinteressen vorführt. Es sind Bilder, die sich selbst entblößen, sich mit ihrer unentwegten Repetition trotzdem in die Seele einschreiben und persönliche Begegnungen imprägnieren können. Mit seiner Zeitreise durch die Bilder erinnert Hess, dass Vietnamkrieg und sexuelle Befreiung zeitgleich die politischen und privaten Strukturen der westlichen Gesellschaften veränderten. Das Motto „Make Love not War“, das bald vor allem für die Werbung genutzt wurde, hat längst zu einer ‚Verschiebung der Kampfzonen’ geführt. Hess bezieht sich hier auf das Credo des Autoren Michel Houellebecq, der konstatierte, dass romantische, auf die Ganzheit einer Person ausgerichtete Liebe nach einer zweckfreien Begegnung in den ‚befreiten’, nach Attraktivität und beruflichen Erfolg bemessenen Lebensentwürfen einer rein kapitalistisch geprägten Generation nicht mehr möglich ist. So zeigen auch die Protagonisten in Freedom is not for free keine individuelle Figurenentwicklung mehr auf, die sie zu unabhängig agierenden Entscheidungsträgern werden lässt. Vielmehr sind sie Stellvertreter auf einer Skala beruflicher und privater Erfolge und Misserfolge sowie zugeschriebener und internalisierter Vorstellungswelten und Moralvorstellungen.
„Der totale Krieg des 20. Jahrhunderts“, so Paul Virilio in Krieg und Kino, „bedeutete den Übergang vom militärischen Geheimnis – die Aufzeichnung der Wahrheit des Schlachtfeldes – zur Überexponierung des live: mit den strategischen Bombenangriffen verschob sich das Geschehen in die städtische Nachbarschaft; aus der kleinen Zahl der überlebenden Zuschauer der Kämpfe wurde angesichts der neuen medialen Möglichkeiten durch Luftaufnahmen und Kino die Masse der Überlebenden-Zuschauer.“[1] Vergleichbar erscheint heute die Überexponierung von Rollenmodellen, Erotik und Liebesbeziehungen, die als mediale Dauerereignisse in ihrer rasanten Kommerzialisierung fragmentarische Elemente liefern, mit deren Hilfe jeder seine eigene Realität inszenieren kann, ohne noch auf authentische Beziehungen zurückgreifen zu müssen.
„Jedes authentische Gefühl ausschalten, ihren Widerstand zu brechen, ihr tiefstes Herz zu unterwerfen und dann die Spielregeln zu ändern, die Spielregeln eines Menschen, dessen größte Fähigkeit die emotionale Gleichgültigkeit ist“, resümiert der von Hess dargestellte Veteran und kommentiert damit zugleich die Spielregeln der Fernseh-Talentshow. „Das Grauen und der moralische Terror sind deine Freunde“, formuliert Colonel Walter E. Kurtz in Anlehnung an Joseph Conrads Roman, Herz der Finsternis. „Falls es nicht so ist“, fährt Kurtz fort, „sind sie deine gefürchteten Feinde.“
Anmerkung:
[1] Paul Virilio, Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung, Fischer-Verlag, Frankfurt/ Main 1998, Seite 145.