Eine Videoprojektion:
Ein Mädchen läuft durch die Dünen zum Strand. An diesem Tag ist er menschenleer. Das Wetter ist rau, der Himmel fast schwarz.
Einen Augenblick verharrt das Kind und betrachtet die dunkle See. Schließlich rennt es ans Ufer, läuft in die Wellen, dreht sich im Kreis, freut sich, lacht und ist voller Leben – denn es tut, was es immer tut, egal ob gut gelaunt oder schlecht, ob voller Zuversicht oder Angst: das Mädchen tanzt.
Hinter dem Kind, auf dem Wasser, quillt Schaum auf. Strand und Düne sind voller Quallen und Plastikmüll. Steine sind geschwärzt von Ölresten.
Das Mädchen bleibt stehen, lauscht Minuten dem Klang der Wellen und beginnt leise zu singen.
Ein Kinderlied ist zu hören – inmitten einer ökologischen Katastrophe…
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Das Projekt „Human Diary“ ist eine Betrachtung der Gegenwart, geschildert aus der Perspektive eines Kindes, das um seine Zukunft bangt: Immer sichtbarer sind die Folgen der fortwährenden Umweltzerstörung mit ihren Konsequenzen für alles Dasein und am Ende Überleben der Menschen selbst…
Das absehbare Verhängnis spiegelt sich im Projekt in der Biografie des Kindes und dessen familiärer Situation wider: Durch die häufigen Auseinandersetzungen seiner Eltern emotional aufgerieben, flüchtet sich das Kind immer wieder in eine Fantasiewelt, ein Spiel zwischen Fakt und Fiktion, das die Ereignisse des Familienlebens alsbald in globalerer Dimension erscheinen lässt: In der kindlichen Fantasie geraten die privaten Konflikte zur gesellschaftlichen und ökonomischen Kontroverse, die das gegenwärtige politische, soziale und ökologische Dilemma begründen.
Im Projekt ist die kindliche Projektion Ausgangspunkt einer Zukunftsfiktion, die in gedanklicher Hochrechnung unserer krisengeschüttelten Gegenwart schließlich von den dramatischen letzten Tagen der Menschheit berichtet: Dargestellt in Form einer fiktionalen anthropologischen Retrospektive, die den gestalterischen Rahmen des Projekts bildet, zeigt sich dabei im inszenierten Endzeitbild ein Kernproblem unseres Handelns: das Streben, ein System lenken zu wollen, das weit stimmiger angelegt und grandioser koordiniert ist, als es menschliches Denken erfassen kann: unsere Lebensgrundlage Erde.
Konzipiert ist das künstlerische Vorhaben als eine interdisziplinäre Installation, die sich aus mehreren, thematisch ineinander greifenden Räumen zusammensetzt. Sie geben der Arbeit eine Kapitelstruktur, die dem dramaturgischen Ablauf eines Spielfilms vergleichbar ist. Die einzelnen Räume sind ein Zusammenspiel aus Bewegtbildern, Fotografien und fiktionalen Artefakten.
Im Zentrum der Räume vermitteln sich der menschliche Hybrisgedanke und die anhaltende Verfehlung am Ökosystem anhand einer Performance, die in Videobildern zu sehen ist. In ihrem Mittelpunkt steht die Vorstellungswelt des Mädchens, durch die sich das tägliche Nebeneinander zwischen Kind und Eltern und stille Hilferufen der Tochter um Zuwendung im Projekt sukzessiv schließlich als Bild der fatalen Wechselwirkung zwischen Menschheitsinteressen und versiegender Erde vermittelt: Ausgehend vom kindlichen Vergleich veranschaulicht sich dabei der immer weiter einbrechende Zustand von Natur und Lebensbedingungen nach und nach anhand der innigsten Leidenschaft des Mädchens, dem Tanz: Die sich wandelnde Choreographie des Kindes, sowie seine Koordination von Bewegung und Ausdruck, veranschaulichen dabei Kooperation als verbleibende Perspektive im Hinblick auf Lösungen der gegenwärtigen globalen Probleme.
Im Projekt interagiert die Tanzperformance, die zentrales Gestaltungselement der Installation ist, mit fiktionalen Texten, Skizzen und Zeichnungen, die aus einem Tagebuch des Mädchens stammen. Der Reihe nach ausgestellt, bilden die einzelnen Seiten des Buchs einen inhaltlichen Leitfaden durch die Arbeit. Er veranschaulicht die Ahnung von einer Menschheit, die, ethisch und technologisch über den Zenit hinaus, auf apokalyptische Verhältnisse zusteuert. Dabei verdeutlicht er die Vision des Kindes gleichermaßen als Folgeerscheinung einer Krankheit, unter der das Kind leidet, einer bipolaren Nervenstörung, die schließlich durch eine Affekthandlung des Mädchens in einer Tragödie endet: Bei einem Stadtbummel, den andauernden Auseinandersetzungen der Eltern entflohen und in ein Auto gerannt, bleibt das Kind schwer verletzt auf einer Straße liegen; verzweifelt ringen seine Eltern um Hilfe. Im existentiellen Augenblick fest-gehalten, sind in der Ausstellung die Körper der Protagonisten in einem Diorama zu sehen. Präpariert als Schauobjekte vermitteln sich die Akteure dabei als Wesen einer vergangenen Epoche und das private Geschehen als Teil des dargestellten Zukunftsszenarios: Im Installationsraum wird das Exponat begutachtet von einer Maschinerie Künstlicher Intelligenz, die die Bedeutung der zur Schau gestellten Situation emotional aufzuspüren sucht. Mit Bezug auf das sterbende Mädchen und dessen Leidenschaft zum Tanz beginnt sich die roboterhafte Apparatur in der Ausstellung dabei schließlich im Kreis zu drehen und den Eindruck zu vermitteln, sich freuen zu können, zu lachen und gleichsam zu beherrschen, was vormals emotionale Heimat des Kindes war: Die Maschinen scheinen zu tanzen – Emotionen wie Leidenschaft, Sehnsucht, Liebe, Trost und Trauer zeigen sich als Phänomene einer lange zurückliegenden Vergangenheit, die einst von menschlichem Dasein, Handeln, Denken und Glauben geprägt, Gegenstand einer rückblickenden Betrachtung geworden ist…