Das Projekt „Human Diary“ ist eine Betrachtung der Gegenwart aus der Perspektive der Zukunft: Auf dem Höhepunkt der Anthropozäns ist der maximale Zerstörungsgrad der Erde erreicht. Erstmals scheint mit dem Eingriff in die Natur die Überlebensperspektive des Menschen selbst relativiert…
Ausgehend von einer subjektiven Darstellung weichenstellender Episoden aus der Menschheitsgeschichte und einer gedanklichen Hochrechnung des Status quo zeichnet die geplante Arbeit eine Zukunftsfiktion, die schließlich von den dramatischen letzten Tagen der Menschheit berichtet, einer Endzeit, der ein Kernproblem menschlichen Handelns zugrunde liegt: das Streben ein System dominieren und perfektionieren zu wollen, das weit langfristiger angelegt, weit stimmiger gewachsen und grandioser koordiniert ist, als es menschliches Denken erfassen kann: die Schöpfung.
Inszeniert in Form einer anthropologisch anmutenden Retrospektive, stellt das Projekt dem menschlichen Hybrisgedanken eine stille performative Bildwelt entgegen, die sich aus der Darstellung eines individuellen Lebenswegs und einer kindlichen Leidenschaft ergibt: der Liebe eines Mädchens zum Tanz. In ihm, der Koordination von Bewegung und Ausdruck, vermittelt sich im Vorhaben sinnbildlich Kooperation als einzig verbleibende Perspektive im Hinblick auf Lösungen der gegenwärtigen globalen Probleme.
Unsere Versäumnisse in der Jetztzeit, sowie der künstlerische Lebensansatz des Mädchens werden in der fiktionalen Ausstellung von einem Publikum, einer Spezies, analysiert, die einst vom Menschen kreiert, nach dessen Ableben die Erde bevölkert: Künstliche Intelligenz. Dem hochtechnisierten, aber bewusstseinsfreien Dasein der Maschinen entgegen, vermittelt sich dabei der Tanz des Kindes als Teil eines Phänomens, das zu Menschheitszeiten seinem Wesen nach irdischer Vollendung, ihrem Nachspüren, Verstehen und Erhalt, einen Moment näher gekommen schien, als vieles andere: das Phänomen der Kunst…
Konzipiert ist das Projekt „Human Diary“ als eine interdisziplinäre Installation, die sich aus verschiedenen, thematisch ineinander greifenden Räumen zusammensetzt. Sie verleihen der Arbeit eine Kapitelstruktur, die dem dramaturgischen Ablauf eines Spielfilms vergleichbar ist. Die einzelnen Räume sind ein Zusammenspiel aus Bewegtbildern, Fotografien und fiktionalen Artefakten.
Neben dem allegorischen Bild des Tanzes spiegelt sich im Projekt die aktuelle Situation einer zunehmend durchtechnisierten Welt und die damit verbundene Zerstörung unserer Lebensgrundlage in der Biografie des Mädchens und dessen Familie wider. Globale Ereignisse, wie die nach wie vor mangelnde politische Bereitschaft, längst überfällige ökologische und soziale Vereinbarungen kooperativ vorzunehmen, vermittelt sich dabei in der Darstellung einer stagnativen Alltagssituation des Kindes, sowie einer Krankheit, unter der das Mädchen leidet, und dem Unvermögen seiner Eltern, damit umzugehen. Die seelischen Spannungen zwischen den handelnden Individuen, ihr Annähern und wieder Auseinanderdriften machen die Folgen von zwischenstaatlichen Kommunikationsbarrieren und weiter aufkeimender Separationspolitik emotional spürbar. Dabei gerät im Nebeneinander von Kind und Eltern, die oft in eigene Konflikte verstrickt sind, das stille Hilferufen der Tochter um Zuwendung in der Fantasie des Kindes zum Bild der fatalen Wechselwirkung zwischen Menschheitsinteressen und versiegender Erde. Ausgehend von dem Vergleich veranschaulicht die Arbeit durch eine sich nach und nach ändernde Tanzchoreographie des Mädchens den immer weiter einbrechenden Zustand der Lebensbedingungen…
Die Tanzperformance, die zentrales Gestaltungselement der Installation ist, interagiert dabei mit fiktionalen Texten, Skizzen und Zeichnungen, die aus einem Tagebuch des Mädchens stammen. Der Reihe nach ausgestellt, bilden die einzelnen Seiten des Buchs einen inhaltlichen Leitfaden durch die Arbeit. Er veranschaulicht die Ahnung von einer Menschheit, die, ethisch und technologisch über den Zenit hinaus, auf apokalyptische Verhältnisse zusteuert und verdeutlicht die Vision des Kindes gleichermaßen als eine Folgeerscheinung seiner Krankheit, einer bipolaren Nervenstörung, die schließlich durch eine Affekthandlung des Mädchens in einer Tragödie endet.
Das private Geschehen ist dabei in eine Situation eingebettet, die die Installation als potentielles Zukunftsszenario darstellt: Bei einem Stadtbummel, den andauernden Auseinandersetzungen der Eltern entflohen und in ein Auto gerannt, ist das Kind schwer verletzt auf einer Straße zu sehen; verzweifelt ringen seine Eltern um Hilfe – doch die Gesten der Protagonisten sind erstarrt. Im existentiellen Augenblick festgehalten, sind die Körper der Personen präpariert: Ausgestellt in einem Diorama, vermitteln sich die Menschen als Wesen einer vergangenen Epoche.
Begutachtet wird das Exponat im Installationsraum von der Maschinerie Künstliche Intelligenz, die die Bedeutung der zur Schau gestellten Situation aufzuspüren sucht. Mit Bezug auf das sterbende Mädchen und dessen Leidenschaft zum Tanz beginnt sich die roboterhafte Apparatur in der Ausstellung schließlich langsam zu bewegen, sich im Kreis zu drehen und dabei den Eindruck zu vermitteln, sich freuen zu können, zu lachen und gleichsam zu beherrschen, was vormals emotionale Heimat des Kindes war: Die Maschinen scheinen zu tanzen – Emotionen wie Leidenschaft, Sehnsucht, Liebe, Trost und Trauer zeigen sich als Phänomene einer lange zurückliegenden Vergangenheit, die einst von menschlichem Dasein, Handeln, Denken und Glauben geprägt, Gegenstand einer rückblickenden Betrachtung geworden ist…