Heike Catherina Mertens

Krieg und Liebe gehören seit Menschenge­denken zusammen. Helena – Sinnbild der Schönheit und Inbegriff männlicher Begierde – liefert den Grund für den Krieg aller Kriege. Liebe und Hass – so lehrt schon Thomas von Aquin – sind zwei Formen des Strebens und der Begierde. Mit Cold War greift Elmar Hess 2009 dieses große Thema der Menschheits­geschichte wieder auf, das er 1996 mit seinem Film Kriegs­jahre begonnen hatte.

Cold War ist eine raumgreifende Instal­lation bestehend aus acht großfor­matigen, nachgestellten Porträt­fo­tografien von Persön­lichkeiten des 20. Jahrhun­derts, drei Fototrip­tychen zentraler historischer Ereignisse des Kalten Krieges, einer trans­formierten Medienikone und verschiedenen skulp­turalen Objekten. Der Titel führt den Betra­chter durch Bildwelten zwischen Fiktion und Geschichte, in denen der politische Kampf im Privaten ausge­tragen wird und Cold War zum Synonym für den unlös­baren Konflikt zwischen Mann und Frau wird. Elmar Hess unter­sucht in diesem Werk Ideologien und Verhal­tensweisen, die unsere Gesellschaft nicht nur politisch spalten, sondern auch im privaten Leben ihre Spuren hinterlassen.

Der Schlüssel zu Cold War ist die Appro­bation eines Fotos von Peter Leibing, das als Ikone des Kalten Krieges gilt: Conrad Schumann, ein DDR-Grenz­soldat, flieht mit einem gewagten Sprung über eine Stachel­drahtrolle nach West-Berlin. Hess reinsze­niert dieses historische Ereignis nicht am Origi­nalschau­platz, sondern in einem Schlafz­immer. Der Soldat, mit Salatschüssel behütet und Staub­sauger bewaffnet, springt im Pyjama über ein vom Liebesakt aufgewühltes Bett. Er flieht in den ‚Westen‘, wie eine mit Ananas bebilderte Plastiktüte zu verstehen gibt, während im ‚Osten‘ zwei nur halb geleerte Weingläser vom abrupten Ende der Zweisamkeit zeugen. Der Soldat, auf der Flucht vor der Liebe, reißt sich wie im Original noch im Sprung die Waffe von der Schulter. Die Frau – Ursache des Konflikts – bleibt unsichtbar.

In Leibings Vorlage ist der Fotograf am linken Bildrand noch zu sehen und eröffnet dem Betra­chter den freien Blick auf das historische Ereignis. Mit sicherem Gespür hat sich Elmar Hess dieses von Caspar David Friedrich geprägten Motivs der Rücken­figur bedient und lässt sie in seiner Fotografie beinahe die Hälfte des Bildes einnehmen. Der Betra­chter wird so zum empathischen Beobachter; der Sprung über das Bett zum erhabenen Augen­blick. Auch ohne weibliche Figur im Bild offenbart sich das große Beziehungs­drama, dem der Mann mit seiner gewalt­samen Entschlossenheit ein Ende setzen will. Rückkehr ausgeschlossen! Hess lenkt den Blick auf die Gefühlsebene dieses Sprungs, dessen Folgen unabsehbar sind. So wie der Reisende sich selbst in der Fremde nicht entkommen kann, so nimmt auch der Soldat sein emotionales Gepäck mit in den Westen. Gesellschaftssystem und Privates sind untrennbar miteinander verbunden; jeder politischen Handlung liegt eine persön­liche Überzeugung zugrunde.

Diesem Dualismus geht Elmar Hess auch in den acht Porträt­fo­tografien auf den Grund, indem er selbst und ihm nahe stehende Personen in die Rolle bedeu­tender Protag­o­nisten des Kalten Krieges schlüpfen. Die Serie beginnt zeitlich mit Lenin, der ideol­o­gisch und politisch die spätere Aufteilung der Welt in Ost und West prägte. Sein tausendfach in Denkmälern festge­haltenes Abbild manifestierte einen Leninkult und ein politisches und gesellschaftliches System. Elmar Hess insze­niert seinen Lenin nur vorder­gründig in dessen oft dargestellter Rednerpose. Die Gesten der Macht – die erhobenen und zu Fäusten geballten Hände – lässt er weg. Stattdessen nimmt eine Frau mit mädchenhaft über die linke Schulter gewor­fenem Haar Lenins Pose ein und blickt mit zusam­mengeknif­fenen Augen weniger visionär als sehnsuchtsvoll in die Ferne. Dieser Blick sowie die auf dem Tisch drapierten Gegen­stände wie Brett, Brot, Wasserglas und Zeichen­s­tifte verschränken Politisches mit Privatem. Der weibliche Lenin ist faktisch nur an der dynamischen, nach vorn gerichteten Körper­haltung erkennbar, die kennze­ichnend für viele sozial­is­tische Propa­ganda-Denkmäler ist. Aber in der Mehrdeutigkeit liegt die künst­lerische Kraft dieser Arbeit.

Lenin schaut in der Instal­lation Cold War zu Mao Tse-tung, der mit einem seligen Lächeln der Welt entrückt scheint und in der Gediegenheit seiner gelassenen Pose Macht demon­striert. Bedenkt man, dass durch Maos politische Offensive „Großer Sprung nach vorn“ von 1958 bis Anfang 1962 die größte Hungerkatas­trophe der Menschheits­geschichte ausgelöst wurde, wirkt der Sprung des Grenz­sol­daten von 1961 wie ein zynisch-satirischer Kommentar zu Mao. Zeitgleich mit den Sprüngen Maos und Schumanns erreicht der Kalte Krieg mit der Kuba-Krise 1962 seine zweite heiße Phase. Elmar Hess lässt am Set alle Protag­o­nisten zusam­men­tr­effen: Chruschtschow, Kennedy und Che Guevara. Vorlage für den ‚Guerrillero Heroico‘ wird die berühmte Fotografie von Alberto Korda, jenes Konterfei, das zum Symbol einer ganzen Gener­ation wurde. Hess befreit ihn von allen ideol­o­gischen Attributen und präsen­tiert Che als Frau mit gen Himmel gerichtetem Blick.

Chruschtschow wird in der Pose seines denkwürdigen Auftritts vor der UNO-Vollver­sammlung porträtiert. Aber statt seines Halbschuhs liegt ein Damen­schuh auf dem Tisch vor ihm; Brett und Brotmesser verorten auch ihn im privaten Kontext. Die Porträts von Willy Brandt mit oblig­a­torischer Zigarette, John F. Kennedy mit den Attributen der Liebe (Rose und Champagner) und Papst Johannes Paul II, dessen Kreuzstab sich als der schon vom Bettsprung bekannte Staub­sauger entpuppt, reihen sich in die Serie der Private Politi­cians ein. Hess nutzt die ins kollektive Bildgedächtnis eingeschriebenen Ikonen des Kalten Krieges (mit Lenin als Ursprung und Papst Johannes Paul II. als Ausblick auf den Fall des Eisernen Vorhangs), um im Akt der Nachahmung hinter die Fassade auf den privaten Menschen zu blicken. Er selbst schlüpft in die Rolle Winston Churchills, der nach Stalins Tod erfolglos für die Auflösung der Blöcke plädierte. Zentraler Habitus ist seine Victory-Geste. Doch passen Siegesze­ichen und Gesicht­saus­druck auf dem Porträt nicht zusammen. Im Gesicht des Politikers spiegelt sich zwar die wilde Entschlossenheit seines Charakters, nicht aber seine Sieges­gewis­sheit, die Churchill immer durch ein souveränes Lächeln unter­strich. Dieser Churchill hat etwas Resig­na­tives und kehrt das Innere des Künstlers nach außen.

In drei Triptychen stellt Elmar Hess zentrale Motive des Kalten Krieges nach: den sozial­is­tischen Bruderkuss, der durch die übertriebene Zurschaustellung der innigen Umarmung von Che und Chruschtschow in der Öffentlichkeit als heuch­lerische Geste entlarvt wird; eine geheime Lagebe­sprechung der ExComm zur Kuba-Krise, die der Künstler kurzerhand in eine private Küche verlegt; und der legen-däre Kniefall Willy Brandts in Warschau, der als Symbol der Demuts­bekundung Weltgeschichte schrieb. Hier schließt sich der Kreis zum Sprung über die Berliner Mauer. Die starke emotionale Spannung der Protag­o­nisten entlädt sich in einer spontanen Handlung. Das Privat-Menschliche wird zur Ikone für eine politische Haltung und umgekehrt mündet eine ideol­o­gische Haltung (Brandts Ostpolitik) in eine private Geste.

Dies Kapitel von der Temperatur der Gefühle könnte uns ein Zwischen­spiel lang durch die abwech­slungsre­ichen Gegenden der Seelen­beobachtung führen. Es würden sich vor uns Blicke in die Weltgeschichte, in die Moral und die Kunst öffnen, die, soviel ich sehe, bis jetzt unbekannt sind“, schreibt José Ortega y Gasset in seinen Betra­ch­tungen über die Liebe. [1] Elmar Hess öffnet unseren Blick in die Weltgeschichte und hat mit Cold War bereits ein Kapitel über die Temperatur der Gefühle geschrieben.

Die fotografischen Werke werden in Cold War durch zahlreiche Objekte flankiert, die diese Wechsel­beziehung zwischen Privatheit und Ideologie offen­baren: rote Lippen­s­tifte als Raketen­stützpunkte, Parfumproben und Haarspangen als Kriegss­chau­plätze und Havanna-Zigarren als Mittel­streck­en­raketen. Private Alltags­ge­gen­stände werden zur Kulisse der Weltpolitik. In einer Trock­en­haube findet Elmar Hess auch ein humor­volles Äquiv­alent für den Sputnik 1, dieses den Westen in Angst verset­zende Sinnbild der russischen Raumfahrt. Da wären wir wieder bei der weiblichen Schönheit, für die Kriege entfacht werden. Mit Ironie und Humor erschafft Elmar Hess eine hochkom­plexe Instal­lation, die den Kalten Krieg als Synonym für die Unfähigkeit gegen­seitiger Verständigung und Empathie zwischen Mann und Frau bildlich narrativ-subtil in Szene setzt. Anders als Cindy Sherman, die bereits Mitte der 1970er Jahre durch insze­nierte Selbst­porträts Rollen­bilder und gesellschaftliche Stereo­typen hinter­fragte, richtet Elmar Hess seinen Blick auf das Innerste des Menschen: seine Gefühle. In der Öffentlichkeit durch starke Gesten und Posen verborgen, im Privaten durch Panzer geschützt, treten sie nur selten ans Tageslicht.

Anmerkung:
[1] José Ortega y Gasset: Betra­ch­tungen über die Liebe, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/ Main 1984, Seiten 13 – 14.

Dirck Möllmann

Das Reenactment ist in der zeitgenös­sischen Kunst zu einem verbre­iteten Verfahren geworden, Geschichte zu begreifen und kritisch zu reflek­tieren. In seiner Arbeit Cold War wendet Elmar Hess dieses Verfahren auf die Zeit des Kalten Krieges der 1950er und 1960er Jahre an. Hess staffiert ihm bekannte Personen als historische Persön­lichkeiten aus und fotografiert sie in bekannten Posen. Winston Churchill, John F. Kennedy, Che Guevara, Mao Tse-tung, Willy Brandt und andere promi­nente Teilhaber der Politik des Eisernen Vorhangs werden ironisch überze­ichnet und täuschend ähnlich dargestellt. Konzep­tionell bettet Hess sie dabei in das ewige Drama des Geschlechterkampfes ein, den er als kriegerisches Manöver beschreibt: Lippen­s­tifte werden zu Raketen, Puder­dosen zu Radarg­eräten und Haarnadeln zu Absper­r­gittern. Immer wieder bezieht sich Hess in seinen Insze­nierungen auf die ’wilden’ 1960er Jahre, in deren Tabubrüchen er geschlechtlich kodierte Machtkämpfe von gesellschaftlicher Dimension erkennt (…)

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