Barbara Steiner
Vordergründig handelt der Film Relation Ship von der leidenschaftlichen Beziehung des Protagonisten zu großen Passagierschiffen, die einst den Atlantik überquerten. Im Mittelpunkt steht die 1952 gebaute United States. Sie war Ergebnis einer ingenieurtechnischen Meisterleistung – das Schiff war schnell und leicht – und eroberte auf der Jungfernfahrt das Blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung. Technisch und ästhetisch gleichermaßen perfekt, verkörperte das Schiff zu seiner Zeit Fortschritt und gesellschaftliche Aufbruchsstimmung par excellence. Doch als Flugreisen immer günstiger und populärer wurden, erwiesen sich Passagierdampfer auf der Atlantikroute zunehmend als unrentabel. 1969 stellte man die United States außer Dienst. Und es dauerte nicht lange, bis das ausrangierte Schiff für viele Amerikaner zu einem Symbol des Niedergangs der Weltmacht USA wurde beziehungsweise fast vollständig in Vergessenheit geriet.
Als im Film der Protagonist, gespielt von Elmar Hess, erfährt, dass das Schiff abgewrackt werden soll, macht er sich von Southampton über New York auf den Weg nach Virginia, um die United States zum ersten und letzten Mal zu sehen. Er reist an Bord der Queen Elisabeth 2, einem Passagierschiff, das 1969 im Vergleich zu früheren Luxuslinern bereits ökonomischer gebaut wurde. Doch „schon damals war es zu spät“ für diese Form des Reisens, resümiert der Protagonist im Film – umso deutlicher musste man diesen Eindruck 1992 gewinnen, dem Jahr, in dem Hess während seiner Dreharbeit mit dem einzigen noch in Dienst stehenden Atlantikliner in die USA reiste. [1]
Der Film trägt diesem ökonomischen Wandel, der letztendlich auch wesentlich ein kultureller ist, Rechnung. Aufnahmen von der Überfahrt auf der Queen Elisabeth 2 und von der eingemotteten United States werden immer wieder von historischen Szenen unterbrochen. In relativ kurzen Sequenzen, so als würde Vergangenheit in der Gegenwart aufblitzen und für einen kurzen Moment zurückkehren können, ruft Hess darin die erfolgreiche Ära der Luxusschiffe auf: vom glamourösen Leben an Bord, einer stolzen Besatzung und illustren Gästen bis hin zu den das Schiff feiernden Massen. Elegisch anmutende Betrachtungen des Protagonisten, der seine Vorstellungen mit der Realität konfrontiert sieht, sprechen letztendlich nicht nur von einer untergegangenen Ära, sondern auch von einem persönlichen Verlust: Die zu Beginn im Film gezeigten Aufnahmen von der Jungfernfahrt der United States sind mit Ella Fitzgeralds Interpretation von Night and Day unterlegt und der Musiktitel ist dabei weniger sentimentales Element, als vielmehr Verweis auf Hess’ Obsession: Das Schiff als ästhetischer Moment, ‚Tag und Nacht’ gedanklich präsent als eine Art emotionale Instanz.
Im Filmverlauf setzt Hess dramaturgisch auf Kontraste zwischen dynamisch geschnittenen Filmpassagen und langen Kameraeinstellungen, wobei sich in Schwarz-Weiß gedrehtes Found-Footage-Material und inszenierte Szenen in Farbe abwechseln und den Kontrast von Einst zu Jetzt unterstreichen. Diesem Prinzip folgt die Tonspur zunächst. Neben dem Swingtitel und den Bildern, die anhand der Jungfernreise auch die gesellschaftliche Aufbruchsstimmung der 1950er Jahre widerspiegeln, sind melancholisch anmutende Töne, kreischende Meeresvögel beziehungsweise Unterwassergeräusche dann zu hören, wenn das Schiffswrack in den Blick gerät.
In der zweiten Hälfte des Films dreht Hess dieses Prinzip um: der optimistische Sound der Wochenschau-Aufnahmen wird entfernt, stattdessen sind Geräusche von Meeresvögeln zugeschaltet. Umgekehrt sieht man das Schiffswrack und hört eine jubelnde Menschenmenge. Das Tuten der Schiffssirenen beim Auslaufen legt sich hohngleich über das Schiffswrack, das seinen Ankerplatz nicht verlassen kann. Letztendlich verstärken diese Verschiebungen in der Bild- und Tonspur das Gefühl des Untergangs einer Ära und der damit einhergehenden Melancholie des Protagonisten, der sich im Film schließlich fragt: „Wo sollte ich hin mit meinem Phantasma aus der Welt weichenden Luxusdampfern“, die zu „groß und schwerfällig“ geworden waren. Das scheint die Perspektive eines in die Schönheit des Schiffs-Verliebten, der – auch wenn er um den Anachronismus weiß – der Anmut eines Schiffes unterliegt. Für welche Werte das Schiff einst stand, welche Rolle es auch immer politisch gespielt haben mag, interessiert nicht, es zählen alleine die Form, die Proportionen und die Gestaltung der Details. So wie das Schiff für ihn ein Synonym für Eigensinn und Ausdauer ist, so eigensinnig und ausdauernd verfolgt der Protagonist seine Obsession, die im Verlaufe des Films dennoch immer brüchiger wird. Das zunehmende Schwanken zwischen Zuversicht und Zweifel artikuliert sich auch in einer an Caspar David Friedrichs Gemälde Mönch am Meer erinnernde Szene: Der Reisende steht auf dem Oberdeck und blickt auf die See. Während die Lautsprecheransage des Kapitäns mit detaillierten Angaben zur Position des Schiffes Sicherheit vermittelt, macht sich im Protagonisten Unsicherheit breit. Im Verlauf des Films muss er feststellen, dass „nur die Vorstellung vom Anfang zurückbleibt. Wo ich mich früher meiner kindlichen Faszination hingab, ringe ich heute nach Luft.“ Zuflucht sucht er im Bereich der projektiven Identifikation, die bereits seine kindliche Faszination an Schiffen auszeichnete. So heißt es im Film: „Ein 300 Meter langes Spielzeug, das musste doch einfach eine faszinierende Vorstellung sein. Und schon lief sie auf dem Teppich meines Zimmers zu großer Fahrt aus.“
In dem zunächst über weite Strecken im dokumentarischen Modus gehaltenen Film schiebt sich – anfangs lediglich in Form eines schnappschussartig aufgenommenen Bildes – ein Schiffsmodell der United States, platziert auf einem flauschig-weichen Teppich eines Wohnzimmers. Es bildet den Auftakt zu weiteren Schiffsmodellbildern, Kinderzeichnungen und Bauskizzen, die vom Beginn der kindlichen Faszination des Protagonisten zeugen und mit der Zeit zunehmend in den Mittelpunkt des Films drängen. Das so inszenierte Phantasma gipfelt in einer fiktiven Dokumentarfilmsequenz, die den Bau eines Ozeandampfers in wirtschaftlich rezessiven Zeiten schildert. Schließlich lässt Hess ein überdimensioniertes Modell der Queen Elizabeth 2 durch (s)eine geflutete Wohnung fahren – akustisch begleitet von der Hymne God Save the Queen. Indem er nicht nur das Modell zeigt, sondern auch dessen Original einblendet, wechselt Hess von der Fiktion zur Realität, wobei diese ihrerseits das Phantasma des Protagonisten stört. Im Laufe des Films kommt es immer mehr zu einer Identifikation seinerseits mit dem Schiff. Entsprechend nimmt er auch seine Freunde wahr: Diese werden in Form von Portraits vorgestellt und sind Bestandteil der Filmstruktur. Die Charakterisierungen der Personen folgen dabei wesentlich der Beschreibung von Schiffen. Neben Geburts- und Aufenthaltsort werden Breiten- und Höhenmaße gleichermaßen angegeben. Umgekehrt widmet sich der Film der vom Protagonisten vorgenommenen Personifikation der United States und letztendlich auch anderer Schiffe. Diese Transformationen findet ihren finalen Höhepunkt gegen Ende des Films, als der Protagonist an Bord der Queen Elizabeth 2 im New Yorker Hafen einläuft und aus der Perspektive des Schiffes spricht: „I feel insignificant, and above all, small; my extension, behind the scenery of the skyscrapers, shrunk to a rather small ship model.“
Relation Ship für eine melancholische Schilderung eines Schiffsenthusiasten, nämlich des Regisseurs selbst, zu halten, hieße nicht zuletzt auch die filmische Seite, konkret den Einsatz verschiedener Filmgenres (Dokumentarfilm, Fiction Film) und Erzählmodi zu verkennen. Der Film ändert ständig die Perspektiven: von der Vergangenheit zur Gegenwart, vom dokumentarischen Modus zum subjektiven Erzählen, von gesellschaftlichen Entwicklungen zur persönlichen Obsession, von Schiffen zu Menschen und von Menschen zu Schiffen. Relation Ship handelt letztendlich nicht nur von den funktionalen und dysfunktionalen Beziehungen des Protagonisten zu Schiffen, der Film setzt auch verschiedene Zeiten, distanziert-analytische und subjektiv-emotionale Erzählmodi, Gesellschaft und Individuum, Realität und Fiktion, Menschen und Schiffe in funktionale und dysfunktionale Relation zueinander.
Anmerkung:
[1] Elmar Hess: Relation Ship – Texte zum Film, aus Lost Paradise, hrsg. von Barbara Steiner, Oktagon-Verlag, Stuttgart 1995, Seiten 42 – 57.