Ein Filmprojekt
„Bedeutendes wird bedeutungslos und Bedeutungsloses bedeutend“, resümiert Alaya und besinnt sich zurück, als ihr dies mit den Bildern des Irakkriegs zum ersten Mal auffiel. Ein Krieg, schildert die junge Muslimin, der die Welt nachhaltiger verändert hat, als alles andere in ihrer Zeit. Ein Krieg, der Ergebnis einer Politik war, die alle kulturellen Wurzeln und ethischen Werte verachtete und als Bilderspektakel inszeniert wurde, das jeden Sinn für die Wirklichkeit verstellte…
Ein paar Jahre zuvor:
Alaya will Journalismus studieren. Kein einfaches Anliegen angesichts ihrer Familie, deren konservative Ansichten und religiöse Engstirnigkeit sie seit langem zu zermürben drohen. Seit dem Tod ihres Vaters hat sich ihr Bruder Omar zum Haustyrannen entwickelt. Sein archaischer Dogmatismus kollidiert immer häufiger mit Alayas weltoffener Sicht, ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und westlichen Lebenswandel. Alaya hat es satt, sich in ihrer Umgebung fremd fühlen zum müssen und nicht ihren persönlichen Interessen und beruflichen Neigungen nachgehen zu können, wie alle anderen in ihrer Umgebung – etwa ihr verheimlichter Freund Georg.
Georg ist Künstler. Seine Lebenseinstellung könnte nicht gegensätzlicher sein, als die von Alayas Bruder. Georg ist fasziniert von der Vorstellung der Grenzenlosigkeit. In seiner Arbeit hat er sich der Welt der Neuen Medien verschrieben, blüht auf in seinem Atelier, einem Reich aus Computerburgen, Bildschirmen und Datenträgern, das ihm als Quelle der Inspiration dient. Gern spielt er in Gedanken die Welt nach, surft durch alle Netze und berauscht sich am Schein, global dabei zu sein – auch wenn sich sein Internationalismus nur in den eigenen vier Wänden abspielt: einer Welt virtueller Bilder, Botschaften und Möglichkeiten – vermeintlich innovativ und Anlass zu immer neuen Projektionen. Georg liebt die Dinge mehr in der Vorstellung, als in der Realität. Mit Vorliebe flüchtet er sich in fiktive Märchenwelten und eigensinnige Realitätsverknüpfungen. Ein Romantiker auf seine Art – mit Fehlern: Georg trinkt.
Doch für seine verklärten und bisweilen skurrilen Phantasmen liebt Alaya Georg und erlebt das Zusammensein mit ihm voller Unbeschwertheit auch als Zuflucht aus der gedanklichen Enge ihrer Familie – allem drohenden Konflikt zum Trotz. Denn ihr orthodoxer Bruder hat sie einem anderen versprochen, seinem Freund Hassan.
Dem Dilemma begegnet Georg mit Humor und Provokation: Während mit Ausbruch des Irakkriegs die Medien beginnen, die Öffentlichkeit mit den Bildern der Kampfhandlungen zu bombardieren, scherzt Georg über den dogmatischen Bruder gerne in den Worten George W. Bushs. Bald begreift Georg den strengen Muslimen als Osama Bin Laden und verklärt seinen selbstherrlichen Nebenbuhler Hassan zum Diktator Hussein…
Alaya hält es für eine von Georgs überdrehten Versplintheiten, für die sie ihn so liebt. Sie ahnt nicht, dass er ihre Liebe und den religiösen Konflikt mit ihrer Familie ausnutzt, um mit seiner Kunst voran zu kommen. Als Georg schließlich im Rampenlicht einer Kunstpreis-Verleihung, die ihm zuteil wird, Alaya vor dem Publikum und somit auch den Augen ihres Bruders und der Familie innig küsst, geraten Alayas Lebensumstände außer Kontrolle – indes auf sehr bizarre Weise. Denn Georgs Hang, aus dem Konflikt in spielerische Parallelwelten abzudriften und die Dinge inhaltlich zu übersteigern, gerät in ihrem Alltag zusehends zu einem zerstörerischen Reenactment weltpolitischer Ereignisse. Eigentümlich realistisch beginnen sich in Alayas Beziehungsleben Katastrophen und Vorgänge aus der Geschichte und aktuellen Medien-
berichterstattung zu wiederholen – von den Anschlägen des 11. Septembers, über Bushs Bagdad-Offensive bis hin zur Drohnenstrategie moderner Kriegsführung.
Alaya weiß nicht, dass die skurrilen Ereignisse Georgs Karrierestreben geschuldet sind und einem perfide kalkulierten Plan folgen: Unter Einbezug spektakulärer Medienereignisse, inszeniert er den von ihm provozierten martialischen Rachefeldzug von Alayas ehrver-
sessenem Bruder, der sich gegen Alayas und Georgs Beziehung richtet, als künstlerische Aktion…
Doch je mehr sich Alaya nichts ahnend aufgrund der immer bedrohlicher anmutenden Absonderlichkeiten in ihrem Leben in die Idee verrennt, mit Georg frei sein zu können, verfällt dieser zusehends seinem Alkoholismus. Von seinem karrieristischen Wahn getrieben, verliert er darüber immer mehr jeden Bezug zur Verhältnismäßigkeit und droht mit seinem Plan in Alayas Leben immer mehr Unheil herauf zu beschwören. Die Situation eskaliert zu einem surrealen Kampfschauplatz, auf dem sich die Figuren George W. Bush, Osama Bin Laden und Saddam Hussein begegnen – im Krieg um ihre Vision von Alayas Freiheit.
Als Alaya Georgs Machenschaften auf die Schliche kommt und bemerkt, was da schließlich als große Videokunst-Ausstellung im Leben des künstlerischen Hipsters Furore macht, beginnt sie zu realisieren, dass Georgs Bilderspektakel, dem jeder Sinn für Wirklichkeit entglitten scheint, für die Gegenwart nur beispielhaft ist: „Authentizität ist auf dem Rückmarsch“, fasst Alaya es zusammen, als sie inmitten der Ereignisse auf einem T‑Shirt eines Passanten das Motiv des Gefolterten von Abu-Ghuraib bemerkt – einem jener vielen Opfer von George W. Bushs Antiterroroperation Enduring Freedom. Unter dem Bild, das in modischen Farben abgedruckt ist, liest sie eine Werbung für ein Youth Hostel, „Resort + Hotel“. „Doch Aufge-
wachsensein im Überfluss, fördert die Sehnsucht nach Ausnahmezustand“, schildert es Alaya weiter. „Irgendwo aufgegriffen, als Knaller vermittelt, weitergeschleust, schmerzfrei, durch tausend Netze in alle Welt, alles in Sekunden abrufbar, darstellbar… und als erlebt geglaubt: Ein Krieg gegen die Wirklichkeit – Bedeutendes wird bedeutungslos und Bedeutungsloses bedeutend!“
Der Filmprojekt Endurig Freedom thematisiert, wie Verlust von authentischem Erleben in einen zweifelhaften gesellschaftlichen Paradigmenwechsel geführt hat. Er zeigt auf, welche Auswir-
kungen Fehlgriffe großer Politik auf moralisches und ethisches Denken haben. In den Medien vermeintlich abstrakt vermittelt, spiegeln sich die Folgen von rückhaltloser, korrupter und menschenverachtender Politik längst in alltäglichem Verhalten wider.