Die Installation „Pleasure Dome“ setzt sich aus drei thematisch ineinander greifenden Räumen zusammen. Sie geben der Arbeit eine Kapitelstruktur, die dem dramaturgischen Ablauf eines Films vergleichbar ist.
Den inhaltlichen Ausgangspunkt des Projekts bilden die Ereignisse der Silvesternacht 2015: In 23 Städten der Bundesrepublik kommt es zu Massenausschreitungen gegenüber Frauen. Das Ausmaß der Übergriffe ist vor allem in Köln beispiellos: Fast 1200 Strafanzeigen wegen sexueller Nötigung und Missbrauch gehen bei der Polizei ein.
Dass die Vergehen vor allem nordafrikanischen und syrischen Flüchtlingen zugeschrieben werden, dient Deutsch-Nationalisten zur Pauschalverurteilung von Zuwanderern sowie Panikmache vor Überfremdung und dem Verlust deutscher Werte und Moral.
Die Geschehnisse in Köln spielen sich vor geschichtsträchtiger Kulisse ab, dem Dom. Die politischen und kulturellen Beweggründe, die vor hundertdreißig Jahren zu seiner Fertigstellung als Symbol eines erstarkenden deutschen Nationalstaates führten, werden in der geplanten Installation einerseits den Motiven des gegenwärtigen populistischen Nationalismus gegenübergestellt. Andererseits schildert die geplante Arbeit anhand einer Begebenheit, die in Verbindung mit der Entstehungsgeschichte des Doms steht, exemplarisch die Entwicklung eines Frauenbildes, das sich auch hierzulande kaum von der vermeintlich fremdländischen, menschenverachtenden Moralauffassung unterscheidet, die den Ausschreitungen zugrunde lag.
Am 15. Oktober 1880 war der seit dem 16. Jahrhundert unvollendet gebliebene Dom in einem Staatsakt eingeweiht worden. Kaiser Wilhelm I. nutzte ihn zur Repräsentation des neun Jahre zuvor gegründeten Deutschen Reiches. Für den Weiterbau der Kathedrale hatte sich die Jahrzehnte zuvor neben Vertretern aus der Politik vor allem Prominenz aus der Kultur stark gemacht: So schrieb etwa Goethe, der den unfertigen Dom besichtigte: „Wenn wir in den Chor treten, wo das Vollendete uns mit überscheinender Harmonie anspringt, fühlen wir unsere Sehnsucht mehr als erfüllt.“
Besonders aber die Begeisterung der jungen Romantiker für das Mittelalter war es, die bereits um die Wende zum 19. Jahrhundert das öffentliche Interesse auf die gotische Bauruine am Rhein gelenkt hatte. Hierzu trug auch Clemens Brentanos Reise durch das Rheintal bei, die er im Sommer 1802 gemeinsam mit seinem Dichterfreund Achim von Arnim unternahm und welche im ersten Raum der Installation in Form eines Reenactments aus Bewegtbildern, Fotografien und Artefakten nachgestellt wird.
Wie viele Dichter ihrer Zeit stark von Nationalgefühl erfasst, widmeten sich Brentano und von Arnim auf ihrer Wanderung der Sammlung und dem Studium der Ursprünge der germanischen und mittelalterlichen Vergangenheit in Volksliedern, Märchen, Mythen und Sagen. Alles was unberührt von den in ihren Augen negativen Auswirkungen der modernen Zivilisation war, wurde als gut und für die, wie sie schrieben, „Gesundung der Nation“ und Überwindung von Splitterstaatlichkeit als hilfreich erachtet. Ihre Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ bildete den Auftakt zu einer sentimentalen Verklärung des Rheintals als Sehnsuchtslandschaft deutscher Romantik.
Mit seiner Ballade „Zu Bacharach am Rheine…“, die Brentano während der Reise verfasste, schuf er die Gestalt der „Lore Lay“, der er dichterisch huldigte: „Die Augen sanft und wilde / Die Wangen rot und weiß / Die Worte still und milde.…“ Mit der Geschichte über seine schöne Heldin prägte auch Brentano ein Leitmotiv der Romantik mit: das der einzigartigen, aber unerfüllten Liebe, die in Agonie endet. Seine Protagonistin schildert Brentano als aufrichtige aber tragische Gestalt, die aus Liebe zu ihrem Freund, der sie betrogen hat, zugrunde geht.
Der zweite Raum der Installation stellt die historischen Hintergründe der Entstehung der Ballade „Lore Lay“ dar: Auf seiner Wanderschaft hatte sich der junge Brentano in Bacharach in eine ortsansässige Wirtstochter verliebt, die jedoch sein eindringliches Werben und Schwärmen zurückwies. In seiner Dichtung brachte der Schriftsteller seine gescheiterte Liebesambition in Verbindung mit jenem Felsen unterhalb eines gefährlichen Rheinabschnitts bei Bingen, der Flussschiffer aufgrund gefährlicher Strudel häufig Schiffbruch erleiden lies.
Nach Brentano nahmen zahllose Dichter das „Loreley“-Motiv auf und formulierten die Geschichte in immer neuen Variationen. Zu Weltruhm gelangte Brentanos dichterische Gestalt schließlich durch Heinrich Heines „Lied von der Loreley“. Während aber Brentano in seiner Fassung die Protagonistin noch voller Menschlichkeit und Integrität dargestellt hatte, wandelt sich dieses Bild in Heines Version in das einer heimtückischen Sirene, die durch ihren Gesang und ihre Schönheit vorbeifahrende Schiffsleute kalkuliert ins Verderben treibt.
Diese Fassung der Geschichte hatte sich noch innerhalb des 19. Jahrhunderts so verbreitet, dass sie bald für eine alte Sage gehalten wurde. Der Fels entwickelte sich zur Touristenattraktion und zog bis heute über drei Milliarden Besucher an. Doch zwischen Heimatfilm und Massentourismus, Souvenirflut und nostalgisch inszenierten Schiffsfahrten auf dem Mittelrhein vermittelte sich so mit den Jahren vor allem die Klischeeversion einstiger dichterischer Rheintal-Verklärung – und damit gleichsam ein generelles Deutschlandbild, eine Fiktion von teutonischer Heimat aus Sage und Mär.
Kaum anders verhält es sich mit Brentanos einstigem Motiv der vollendeten Liebe. Die hehre Dichtervision aus Zeiten der Romantik kursiert heute in der Begrifflichkeit „Romantische Liebe“ als Synonym für die „Traumbeziehung“. Und die dichterische Schöpfung „Lore Lay“ mutierte neben dem im allgemeinen Bewustsein zu einer Art Fantasy-Nixe, einem sexuell hochstilisierten Vamp.
Der dritte Raum der Installation stellt Brentanos Motiv der singulären Liebe den Kölner Ereignissen der Silvesternacht 2015 gegenüber.
Während auf einer Videoprojektion die Eskalation auf der Kölner Domplatte zu sehen ist – Sicherheitskräfte verkennen die Lage, Frauen geraten in Bedrängnis – rezitiert den dokumentarischen Bildern gegenüber auf einem Monitor Brentano (Reenactment) aus seinen „Loreley“-Versen und schildert die Liebesnot seiner scheiternden Heldin: „Das Herz tut mir so weh / (…) Denn alles muss verschwinden / Weil er nicht bei mir ist…“
Durch die Gegenüberstellung vermittelt sich dem ersten Eindruck nach die bedrückende Kluft zwischen redlich erscheinender Liebesagonie und der Auflösung jeglicher zivilisatorischer Verhaltensweisen. Doch durch Brentanos Text und anhand einer Reflexion dessen, was mit den Jahren aus seiner ursprünglich integeren Protagonistin „Lore Lay“ gemacht wurde, zeigt sich auch die Doppelmoral: Einerseits provozieren die Bilder der Ausschreitungen die Reklamation der Vorgänge und des vermeintlich fremdländischen, menschenverachtenden Frauenbildes. Andererseits wird ein kaum besseres Frauenbild beispielsweise nur gut hundert Kilometer flussaufwärts vom Dom, nahe Bacherach, jeden Tag aufs Neue propagiert: Eine Frau, stilisiert zur Begehren stimulierenden, lasziven Zirze, der es Herr zu werden gilt. Und die touristische Vermarktung der „Loreley“ bedient dabei nur exemplarisch, was auch hierzulande, wie überall, in jeden anderen erdenklichen Zusammenhang inszeniert und kommerziell ausgeschlachtet wird: Die Frau als verfügbares Objekt, nicht selten inszeniert wie zu eroberndes und besiegendes Freiwild – Ein erniedrigender Sexismus, vor allem in Medien und Werbung omnipräsent, der nur zu gerne virtuell propagiert, was in der Silvesternacht 2015 in bisher nicht dagewesenem Ausmaß erschreckende Realität wurde.
Durch die Kombination der Bilder vom Dom, der sich inmitten der Ausschreitungen als einst nationalitätsstiftendes Symbol erhebt, mit der Darstellung der Ereignisse, die mit seiner Vollendung in Verbindung stehen, vermittelt die Installation „Pleasure Dome“ zugleich das regressive Deutschlandbild der Neo-Nationalisten. In der geplanten Arbeit erweist es sich als Ergebnis eines in den Vorstellungen zementierten Deutschlandklischees, das auf Leugnung bzw. Verständnisverlust historischer Zusammenhänge und politischer Errungenschaften der deutschen Geschichte beruht. Der damit verbundene reale Verlust hiesiger Kultur und ein schwindendes Werteempfinden zeigt sich neben der Verrohung von Verhaltensweisen nicht zuletzt in Anbetracht der Pauschalverurteilungen von Flüchtlingen. Sie geht einher mit der Abkehr von humanistischen Grundwerten – Werten konstruktiv menschlichen Zusammenlebens, deren Verlust einst schon jener erdichteten Protagonistin zum Verhängnis wurde, die Brentano in seiner Version der „Lore Lay“-Geschichte noch geschildert hatte.